Weg­werf­ge­sell­schaft

Nach lan­gen Ta­gen des Aus­mis­tens der Woh­nung und kal­ten Wo­chen­en­den auf dem Spei­cher ka­men zum Mus­kel­ka­ter (vom He­ben der schwe­ren Kis­ten und Bü­cher) noch ei­ni­ge Blut­ergüs­se hin­zu und ei­gent­lich soll­te dann auch die Bro­cki kom­men, die wir für den nächs­ten Frei­tag be­stellt hatten.

Ei­ne Wo­che vor dem ge­wünsch­ten Ab­hol­ter­min für un­se­re über­zäh­li­gen und dop­pel­ten Ge­gen­stän­de und Bü­cher mach­ten wir den Ter­min aus. Die­ser fes­te Ter­min führ­te dann da­zu, sich noch mehr ins Zeug zu le­gen, da­mit auch al­les bis zum Ter­min fer­tig aus­ge­räumt wäre.

Vol­ler Vor­freu­de, dass wir nun bald wie­der mehr Platz in der Woh­nung, auf dem Spei­cher und im Kel­ler ha­ben wür­den, er­war­te­ten wir den Wa­gen der Bro­cki – aber er kam nicht. Beim Nach­fra­gen kam her­aus, dass un­ser Na­me gar nicht im Ka­len­der ver­merkt war. Nach meh­re­ren Te­le­fo­na­ten wur­de uns ge­sagt, dass ein Wa­gen bald zu uns kä­me. Kur­ze Zeit spä­ter kam ein Mann, der der Chef sein soll­te (laut An­ruf vom Fah­rer des Klein­las­ters, der sich auch noch mel­de­te). Der an­geb­li­che Chef er­klär­te mei­nem Mann, dass sie die Bü­cher gut ge­brau­chen könn­ten, den Rest man aber ent­sor­gen müss­te – das wür­de uns 300,00 Fran­ken kos­ten. Wie bit­te? Wir wol­len gut er­hal­te­ne Ge­gen­stän­de ver­schen­ken und sol­len nun zah­len? Nein, das kann nicht sein. Auf Drän­gen (wir be­nö­tig­ten den Platz) nahm er dann we­nigs­tens das Bett mit, liess uns al­ler­dings die Ma­trat­zen zu­rück, die jetzt im­mer noch im Weg rum ste­hen 🙁  Da sie nun kei­ne Zeit hät­ten, sie hät­ten halt noch vier Ter­mi­ne, könn­ten sie jetzt nichts wei­te­res mit­neh­men. Sie kä­men dann aber in ei­ner Wo­che er­neut zu uns. Die ge­nann­ten 300,00 Fran­ken wä­ren üb­ri­gens erst ei­ne Schät­zung, es müss­te al­les noch ein­mal ge­nau an­ge­se­hen wer­den, es könn­te auch noch teu­rer wer­den. Die­ser Chef war sehr un­freund­lich und trat auch laut und mas­siv auf. Aus­ser­dem be­haup­te­te er, dass wir den Ter­min (den er ja ver­ges­sen hat­te – aber es nicht zu­gab) gar nicht schon vor ei­ner Wo­che mit ihm aus­ge­macht hät­ten. Es war ei­ne sehr un­an­ge­neh­me Erfahrung.

So frag­ten wir bei ei­ner an­de­ren Bro­cki an, ob sie Zeit und In­ter­es­se an un­se­ren Bü­chern und Haus­halts­ge­gen­stän­den hät­ten. Ein Mann kam zum Be­sich­ti­gen und sag­te, dass es uns 650,00 Fran­ken kos­ten wür­de. Es müss­te al­les ent­sorgt wer­den, auch die Bü­cher. Wenn wir ei­ne Mul­de be­stel­len wür­den, wür­de es uns 800,00 Fran­ken kos­ten, da­her wä­re er ja bil­li­ger. Wir lies­sen ihn wie­der fahren.

Aber hal­lo – wo le­ben wir denn?
Wir hat­ten Schrän­ke, or­dent­li­ches gut er­hal­te­nes Ge­schirr, Töp­fe, Be­steck, Glä­ser, ei­nen Mas­siv­holz­tisch, ein Re­gal, Lam­pen, Tup­per­schüs­seln, Spie­le, Plüsch­tie­re und und und – und über 1.000 Bü­cher. Und das al­les soll ent­sorgt wer­den, ob­wohl es gut er­hal­ten ist?
Es hat mich ei­ni­ge Trä­nen ge­kos­tet zu er­fah­ren, dass nie­mand mehr so et­was ha­ben möch­te, son­dern dass es im­mer al­les neu sein muss. War­um gibt es kei­ne Mög­lich­keit Ge­brauchs­ge­gen­stän­de wei­ter zu be­nut­zen? Wir woll­ten sie ja nur weg­ge­ben, weil wir vie­les dop­pelt hat­ten, da wir ja zwei Haus­hal­te zu­sam­men­ge­legt hatten.
Zum Glück fiel mir ein gu­ter Freund ein, der vie­le Men­schen kennt und die­sen auch hilft. Ein An­ruf und ei­ne hal­be Stun­de spä­ter war er da und pack­te sein Au­to voll. Er freu­te sich, dass er die Ge­gen­stän­de mit­neh­men konn­te, von de­nen er wuss­te, dass er sie wei­ter­ge­ben kann. Ei­nen Tag spä­ter er­fuh­ren wir, dass un­se­re Ge­gen­stän­de den Weg zu ei­ner Gross­fa­mi­lie ge­fun­den ha­ben und die­se sich rie­sig dar­über freu­te und uns vie­le dank­ba­re Grüs­se aus­rich­ten liess. Das tut gut – zu wis­sen, je­man­dem et­was Gu­tes ge­tan zu haben.
Den Rest ha­ben wir nun aus­ein­an­der ge­nom­men, zer­legt und ord­nungs­ge­mäss müll­tech­nisch getrennt.
Al­te Ski und Ski­stö­cke ha­ben wir ins Sport­ge­schäft ge­bracht und wur­den dort gra­tis zu­rück­ge­nom­men. Glä­ser in den Glas­con­tai­ner, Me­tall zum Con­tai­ner, Elek­tro­ge­gen­stän­de zu­rück ins Ge­schäft. In die­sem Zu­sam­men­hang ha­ben wir dann gleich auch noch Ver­pa­ckungs­ma­te­ri­al, Sty­ro­por und Klei­der­bü­gel und und und ins Ein­kaufs­zen­trum zum Ent­sor­gen ge­bracht. Das war ein Akt, denn so oh­ne Au­to ist das al­les sehr schwie­rig. Aber mit gu­ter Or­ga­ni­sa­ti­on ist fast al­les zu schaf­fen. Nun kom­men noch die gros­sen Ge­gen­stän­de (z. B. die Ma­trat­zen) zum Müll und Woll­de­cken, Bett­de­cken und Ta­schen zur Alt­klei­der­samm­lung. Dann blei­ben nur noch die Schrän­ke, die noch aus­ein­an­der­ge­nom­men wer­den müs­sen – aber das ist jetzt auch noch zu schaffen :-).
Un­se­re Ei­gen­ent­sor­gung be­läuft sich mo­men­tan auf ei­nen Be­trag von un­ter 40,00 Fran­ken. Wenn wir noch die Schrän­ke be­rech­nen, dann kom­men wir ins­ge­samt wohl auf ins­ge­samt 70,00 Fran­ken. Das ist doch schon ein rie­si­ger Unterschied.

Ach ja, die Bü­cher, die ha­ben wir noch ab­ho­len las­sen von ei­nem Ehe­paar, das die Bü­cher wei­ter­ver­kauft (zwar nicht für ei­nen gu­ten Zweck, son­dern für ih­ren ei­ge­nen Geld­beu­tel), aber so sind die Bü­cher we­nigs­tens nicht im Pa­pier­müll ge­lan­det – es wa­ren dann üb­ri­gens um die 1.500 Bü­cher. Die Ab­ho­ler muss­ten zwei Mal fah­ren ;-)))). Der un­freund­li­chen Bro­cki ha­ben wir dann ab­ge­sagt, ir­gend­wie schie­nen sie nun doch et­was trau­rig zu sein – viel­leicht, weil ih­nen die Bü­cher ent­gan­gen sind, die sie ja hät­ten ge­brau­chen können?

Fa­zit: Ich bin ent­setzt dar­über, in was für ei­ner Ge­sell­schaft wir le­ben. Geht es uns al­len zu gut? War­um kön­nen gut er­hal­te­ne Ge­gen­stän­de nicht wei­ter­ver­wen­det wer­den? War­um muss al­les neu ge­kauft wer­den? Ich dach­te, es gibt auch Ar­mut in der Schweiz? Wo sind die Men­schen, die sich freu­en über ge­schenk­te Mö­bel oder sons­ti­ge Ge­gen­stän­de, die ja kei­nes­wegs alt und un­an­sehn­lich wa­ren? Ich ha­be z. B. mein gu­tes Eschen­bach-Por­zel­lan ab­ge­ge­ben, wel­ches auch sehr edel aus­sah. Wo kann man noch hel­fen mit die­sen Din­gen? Ist die Aus­sa­ge wahr, dass selbst Asy­lan­ten nur neue Ge­gen­stän­de wol­len und sich nicht mit Ge­brauch­tem ab­ge­ben? Ich kann das ir­gend­wie nicht glau­ben und bin im­mer noch dar­über geschockt.

Wir le­ben in ei­ner Weg­werf­ge­sell­schaft, al­les muss neu sein, al­les wird ent­sorgt. Und wo lan­det dann der gan­ze „Müll“? In Afri­ka? In den Welt­mee­ren? Wird der Müll dann an­ge­zün­det und die Luft ver­pes­tet, wird noch mehr Plas­tik die Ge­wäs­ser ver­un­rei­ni­gen? Wir soll­ten wie­der Ge­gen­stän­de bau­en, die ei­ne lan­ge Le­bens­dau­er ha­ben. Mö­bel, die qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig sind, aber auch be­zahl­bar. Es soll­te Ma­te­ri­al ver­wen­det wer­den, wel­ches re­cy­cel­bar ist. Wir sol­len Elek­tro­ge­rä­te wie­der re­pa­rie­ren, statt zu ent­sor­gen und neu anzuschaffen.

Wie geht das bloss wei­ter – was muss noch pas­sie­ren, da­mit wir auf­wa­chen und uns auf das We­sent­li­che kon­zen­trie­ren? Wann den­ken wir end­lich an un­se­re Um­welt und an un­se­re Mit­men­schen, de­nen wir hel­fen könn­ten – viel­leicht auch durch ein paar Haus­halts­ge­gen­stän­de? Wann hö­ren wir da­mit auf, im­mer mehr Bil­lig­kram her­zu­stel­len und da­mit Un­men­gen an Müll zu pro­du­zie­ren? Wann den­ken wir end­lich nach­hal­tig, auch im Be­reich Mö­bel oder sons­ti­gen Ge­gen­stän­den? Wann wird das Re­pa­rie­ren wie­der wich­ti­ger als das Wegwerfen?

Weg mit der Weg­werf­ge­sell­schaft – hin zur Er­hal­tungs­ge­sell­schaft. Er­hal­tung der Gü­ter, Er­hal­tung der Na­tur und der Welt – oh­ne die es kein Le­ben gibt.