Gott, ich bin müde

Gott, ich bin mü­de. Mü­de, dar­über zu re­den, was du mir Gro­ßes hast zu­kom­men las­sen, über das, was ich dank dei­ner Gna­de er­fah­ren durf­te. Mü­de, weil nie­mand dar­an In­ter­es­se zu ha­ben scheint. We­der „die Kir­che“ mit ih­ren Theo­lo­gen und Pfarr­per­so­nen noch sons­ti­ge Ge­lehr­te wol­len hö­ren, was ich mit dir und durch dich er­lebt habe.

Sie wol­len oder kön­nen nicht er­ken­nen, dass du, mein Herr, ei­ni­gen Men­schen dei­ne Nä­he schenkst, ei­ne Nä­he, die an­de­re nicht ken­nen­ge­lernt ha­ben. Du al­lein ent­schei­dest dar­über, wer mehr von dir er­fah­ren darf und wer nicht. Aber das will man nicht wahr­ha­ben, will man nicht hö­ren, will man nicht wis­sen. Denn sie, die Ge­lehr­ten, wol­len ge­nau wis­sen, wie du, mein Gott funk­tio­nierst. Sie mei­nen al­les im Griff zu ha­ben, dich im Griff zu ha­ben, dir gleich zu sein oder viel­leicht so­gar noch hö­her und mäch­ti­ger zu sein als du.

Doch sie mer­ken nicht, dass sie dein Wir­ken nicht ver­ste­hen, dass sie dei­ne Wor­te miss­ver­ste­hen, doch sie re­den vol­ler Macht und vol­ler Über­zeu­gung. Und da ih­re Wor­te so viel Kraft be­sit­zen, ih­re Stim­men so laut sind, über­tö­nen sie da­mit die lei­sen Stim­men der Men­schen, die dein Wort nicht hin­aus­schrei­en, son­dern es be­wah­ren wol­len, so wie es ist: hei­lig und vol­ler Wirkung.

Sie, die lau­ten Stim­men, er­sti­cken dein Wort. Sie er­drü­cken die Saat, die du mein Gott, aus­ge­sät hast, mit ih­ren Dor­nen. Und geht doch ein Teil der Saat auf, sind ih­re Früch­te bitter.

Doch dei­ne Frucht, mein Herr, ist süß, fruch­tig und saf­tig. Dein Wort be­lebt und gibt Kraft. Es macht Lust dar­auf, mehr von dir zu hö­ren, mehr von dir zu er­fah­ren, mehr von dei­ner Nä­he zu spüren.

Doch es macht mü­de, im­mer ge­gen die Laut­stär­ke der Men­schen an­re­den zu müs­sen. Denn wem hört man zu?

Auch du, mein Gott, sprichst nicht mit lau­ter Stim­me, son­dern in lei­sen Tö­nen. Du musst dich nicht laut er­he­ben, nein, du sprichst so, wie es für die Men­schen, die du er­rei­chen möch­test, gut ist.

Nicht wer am lau­tes­ten ist, hat Recht, son­dern du, mein Gott, hast die Wor­te der Wahr­heit. Dei­ne Wor­te er­rei­chen nicht nur das Ohr, son­dern un­ser Herz. Du er­reichst un­ser In­ne­res, du ver­wan­delst uns. Dein Wort dröhnt nicht, dein Wort er­weicht. Es er­weicht das Har­te in uns, es zer­bricht un­se­re in­ne­ren Mauern.

Doch auf das Lei­se wol­len die Men­schen nicht mehr ach­ten. Sie wol­len auch nicht auf­bre­chen, we­der im In­ne­ren, noch im Äu­ße­ren. Sie wol­len al­les ha­ben, al­les be­sit­zen, al­les er­rei­chen. Doch sie wol­len kei­ne Ver­än­de­run­gen. Sie wol­len, dass al­les so bleibt, wie es ist. Dass al­les Be­stand hat, so wie sie es sich er­rich­tet ha­ben, so wie sie es sich be­quem ein­ge­rich­tet haben.

Doch dein Wort lässt nichts wie zu­vor. Dein Wort be­rührt, dein Wort rüt­telt auf, dein Wort lässt Al­tes zer­bre­chen, lässt al­les in Fra­ge stel­len, lässt den al­ten Men­schen zu­rück. Ein Neu­be­ginn steht bevor.

Doch Ver­än­de­run­gen will der Mensch nicht. Un­ge­wiss­heit will der Mensch nicht. Der Mensch will al­les be­herr­schen, will al­les im Griff ha­ben, al­les un­ter Kon­trol­le ha­ben. Doch du, mein Gott, bist Herr. Du bist der Herr der Welt, du bist der Schöp­fer von Him­mel und Er­de und von al­lem, was ist und sein wird. Du bist Herr und bleibst Herr. Und nur wer dich als Herr er­kennt und dich als Herr an­er­kennt, wird dei­ne Herr­schaft so an­er­ken­nen, dass er sich dir un­ter­wirft. Un­ter­wer­fen heißt nicht, dass wir kei­nen frei­en Wil­len mehr ha­ben wer­den, son­dern, dass wir uns ver­trau­ens­voll an dich wen­den dür­fen, uns von dir füh­ren las­sen dür­fen, wir dir un­se­re Schwach­heit über­las­sen, da­mit du uns dei­ne Stär­ke ge­ben kannst.

Nur durch dich und mit dir ist ech­tes Le­ben leb­bar. Denn du bist un­se­re Quel­le, aus dir sind wir ge­schaf­fen, durch dich le­ben wir und durch dich wer­den wir be­lebt, wenn wir in­ner­lich zu ver­dor­ren drohen.

Doch die Men­schen wol­len es oh­ne dich schaf­fen. Sie glau­ben, sie sind stark. Sie glau­ben, sie wis­sen al­les und kön­nen al­les und da­her fra­gen sie nicht mehr nach dir. Du, mein Gott, wur­dest aus ih­ren Le­ben ver­bannt. Es geht ih­nen zu gut, um nach dir zu fra­gen. Und wenn es ih­nen nicht gut geht oder es Ka­ta­stro­phen gibt, dann sa­gen sie, dass es so et­was Schlech­tes nicht ge­ben wür­de, gä­be es ei­nen Gott.

So dre­hen sie al­les hin und her, um um dich her­um zu kom­men. Doch du bist da, mein Gott, ich weiß es, ich ha­be dich er­lebt, ich kann dich be­zeu­gen. Doch wenn ich da­von er­zäh­len möch­te, will man es nicht hören.

Die­se Men­schen be­schäf­ti­gen sich mit Mys­tik und dre­hen die Be­deu­tung da­von so lan­ge hin und her, bis sie für sie stimmt. Sie be­haup­ten, wenn sie Bü­cher über Mys­tik le­sen, sind sie selbst Mys­ti­ker. Oder sie be­haup­ten, sie sind auf ei­nem mys­ti­schen Weg un­ter­wegs und sind da­her Mys­ti­ker. Aber was ist ein „mys­ti­scher Weg“? Sie be­haup­ten, je­der ist ein Mys­ti­ker oder je­der kann ein Mys­ti­ker sein. Sie bie­ten We­ge und Kur­se an, um Mys­ti­ker zu wer­den. Sie be­haup­ten, Mys­tik ist nichts Über­sinn­li­ches, nichts Un­ge­wöhn­li­ches, nichts Be­son­de­res. Sie al­le re­den über Mys­tik, er­ken­nen aber nicht, was sich tat­säch­lich da­hin­ter ver­birgt. Sie wol­len auch gar nicht hö­ren, dass du, mein Gott, be­stimm­te Men­schen aus­er­wählst oder aus­er­wählt hast, de­nen du dei­ne so ex­tre­me Nä­he und Lie­be ge­schenkt hast. Dass du al­lein die­ses Ge­schenk den Er­wähl­ten hast zu­kom­men las­sen. Sie wol­len dies nicht wahr­ha­ben, denn sie al­le wol­len sich auf die glei­che Stu­fe stel­len wie die, die et­was Au­ßer­ge­wöhn­li­ches er­lebt ha­ben. Da­her wol­len sie nicht hö­ren, dass es Men­schen gibt, die du, mein Gott, mit sol­chen be­son­de­ren Ga­ben be­schenkst. Sie sa­gen, Vi­sio­nen und Au­di­tio­nen sind un­wich­tig. Da­bei sind dies Ga­ben von dir. Wie kann et­was, was von dir kommt, un­wich­tig sein? Nein, die­se Ga­ben sind eben­so wich­tig, wie al­les an­de­re, was du uns schenkst.

Dei­ne über­flie­ßen­de Lie­be ist un­be­schreib­lich, und sie zu tei­len ist et­was, was so sehr not­wen­dig ist. Doch wie soll das ge­hen, wenn nie­mand von dei­ner Lie­be be­rührt wer­den will? Oder nur auf die Art und Wei­se, wie es je­der für sich selbst ha­ben will?

So­lan­ge „un­wis­sen­de“ Men­schen ih­re Stim­me laut er­he­ben, so lan­ge wird der Mensch, der dich, mein Gott, so tief er­lebt hat, dass al­les Al­te in ihm zer­stört wur­de und du in ihm ei­ne neue In­ner­lich­keit auf­ge­baut hast, nicht er­hört wer­den. So lan­ge kann ich nicht er­hört werden.

Wie, mein Gott, kann ich dei­ne Lie­be, dein Wort, dein Wir­ken un­ter die Men­schen brin­gen, wenn mei­ne Stim­me nicht durch die Laut­heit der von sich so sehr über­zeug­ten Men­schen drin­gen kann?

Die Welt scheint kei­nen Platz mehr für die lei­sen, sen­si­blen, emp­find­sa­men Men­schen zu haben.

Ich möch­te über dich re­den, Herr. Über dein Wir­ken be­rich­ten. Dar­über, was du mir ge­schenkt hast, mein Gott. Dar­über, wie du mich be­rührt und ver­än­dert hast und was aus dei­nem Wir­ken ge­wor­den ist. Und auch dar­über, wie schwer es ist, heu­te dar­über zu re­den und rich­tig ver­stan­den zu werden.

Je­der will Mys­ti­ker sein, je­der will sei­nen Glau­ben so zu­sam­men­mi­xen, wie er es möch­te. Es gibt kei­ne Gren­zen mehr, es gibt kei­ne ein­deu­ti­gen We­ge mehr, es gibt kei­ne Ein­schrän­kun­gen. Al­les ist mög­lich und al­les ist zu­ge­las­sen. Es gibt kei­ne Ta­bus mehr und al­les ist recht. So­gar in dei­nem Na­men wird vie­les „ver­kauft“. Der Glau­be an dich wird „ver­ramscht“. Der Glau­be an dich wird ver­wäs­sert. Al­les ist gut, so­lan­ge es nicht ir­gend­wie bö­se ist. Al­le We­ge sol­len an­geb­lich zu dir füh­ren. Wo­für hast du Je­sus ge­schickt, wenn es doch nicht nur die­sen ei­nen Weg gibt, den du uns durch Je­sus auf­ge­zeigt hast? Ist Je­sus ver­ges­sen wor­den, ist Je­sus um­sonst zu uns gekommen?

Je­sus hat schon da­vor ge­warnt, dass vie­le fal­sche Pro­phe­ten auf­tre­ten wer­den. Sind wir blind da­für ge­wor­den? Sind wir taub ge­wor­den? Fällt dein Wort nur noch auf har­ten Bo­den? Oder wird dein Wort durch fal­sche Wor­te er­stickt? Brin­gen die Sa­men nur noch bit­te­re Früch­te, weil sie auf fal­schen Grund fal­len und sie so­mit verderben?

Gott, wo sind die Men­schen, die of­fen sind für dei­ne Wor­te? Wo sind die Men­schen die er­fah­ren wol­len, wie du bist und wie du wirkst? Wo sind die Men­schen, die hö­ren wol­len, was du von ih­nen und für sie möch­test? Wo soll ich re­den von dir? Wo kann ich den Bo­den auf­lo­ckern, da­mit du dei­ne gu­ten Wor­te sä­en kannst und sie gu­te Frucht brin­gen kön­nen? Wie und wo soll ich wir­ken? Gott, zei­ge mir den Weg, den ich ge­hen soll, da­mit ich dir die­nen kann und ich da­mit den Men­schen Gu­tes tun und ih­nen hel­fen kann und ich so­mit dei­nen Auf­trag um­set­zen kann.

Gott, bit­te hilf mir ge­gen mei­ne Mü­dig­keit. Gott, bit­te hilf mir ge­gen die lau­ten Stim­men in der Welt. Hilf mir, da­mit mei­ne lei­sen Wor­te gu­te Frucht brin­gen und die Men­schen sich da­durch öff­nen für dich, dei­ne Wor­te und dei­ne un­end­li­che Lie­be. Amen

31.07.2020